Vom Potenzial zur Realität: Wie Qualitätsstandards Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmittel transformieren können

Andreas Lackmann

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Philip Rebensburg sitzt hinter seinem Buch "Gesund mit Heilpilzen"

Als Autor und Vitalpilzexperte ist es mir ein großes Anliegen, auf die Bedeutung von Transparenz und Qualitätsstandards im Markt für Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmittel hinzuweisen. Der Markt erlebt zwar derzeit ein rasantes Wachstum, doch diese Entwicklung birgt auch Gefahren: Viele Produkte entsprechen nicht den angegebenen Qualitätsstandards oder liefern irreführende Informationen über ihre Inhaltsstoffe. Dieses Dilemma gefährdet nicht nur die Sicherheit der Verbraucher, sondern auch die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Es ist dringend notwendig, hier gegenzusteuern, um die vollen gesundheitlichen Potenziale von Vitalpilzen nutzen zu können.

Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmittel: Warum wir Standards und Transparenz dringend brauchen

Die zunehmende Beliebtheit von Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmitteln hat einen beeindruckenden Boom im Markt für diese Produkte ausgelöst. Mit einem aktuellen Wert von 27,5 Milliarden USD im Jahr 2022 und einer Prognose von 62 Milliarden USD bis 2030 (einem Wachstum von 8,7 % pro Jahr) zeigt die Branche enormes Potenzial.1

Quelle: Marketresearch.biz

Diese Nahrungsergänzungsmittel werden für ihre vielfältigen gesundheitlichen Vorteile geschätzt, darunter die Stärkung des Immunsystems, die Verbesserung der mentalen Klarheit und die Förderung der allgemeinen Vitalität. Doch bei all diesem Wachstum wird deutlich, dass der Markt ein dringendes Problem hat: die Sicherstellung von Qualitätsstandards und Transparenz.

Vitalpilze: Eine Schatzkammer an bioaktiven Stoffen

Funktionelle Pilze, auch Heil- oder Vitalpilze genannt, wie Reishi (Ganoderma lucidum), Igelstachelbart (Hericium erinaceus) und Cordyceps (Cordyceps sinensis), sind reich an bioaktiven Komponenten.

Diese Substanzen, darunter Beta-D-Glucane, Triterpenoide, Ergothionein und Ergosterol, besitzen antioxidative, entzündungshemmende und immunmodulatorische Eigenschaften, die einen großen Einfluss auf die Gesundheit haben können.2 Besonders die ß-1,3-1,6-Glucane sind als Hauptwirkstoffe für die immunmodulatorischen Effekte bekannt, während Ergosterol eine Vorstufe von Vitamin D ist und somit als Vitamin-D-Quelle dient.

Darüber hinaus enthalten Vitalpilze weitere wertvolle bioaktive Metaboliten, die gezielt bestimmte gesundheitliche Effekte fördern können. Dazu gehören Cordycepin, ein Nukleosid mit potenziellen antiviralen und entzündungshemmenden Eigenschaften, sowie Hericenone und Erinacine, die insbesondere für ihre neuroprotektiven Wirkungen bekannt sind und das Wachstum und die Regeneration von Nervenzellen unterstützen können. Der Gehalt an diesen bioaktiven Substanzen ist entscheidend für die Qualität und Wirksamkeit eines Produkts, da sie den therapeutischen Nutzen maßgeblich beeinflussen.

Obwohl diese Wirkungen wissenschaftlich vielversprechend sind, bleibt die Qualität der auf dem Markt verfügbaren Produkte oft unklar. Viele Nahrungsergänzungsmittel enthalten entweder keine ausreichenden Mengen dieser bioaktiven Substanzen oder weisen unerwünschte Verunreinigungen auf. Ohne klare Standards und umfassende Tests ist es für Verbraucher nahezu unmöglich, die Qualität eines Produkts einzuschätzen.

Ein Markt ohne Regeln

Der Markt für Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmittel ist weitgehend unreguliert. Dies hat dazu geführt, dass viele Produkte mit zweifelhafter Qualität auf den Markt kommen. Ein großes Problem ist die Verwendung von irreführenden Gesundheitsversprechen, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Oft werden Behauptungen über die Wirksamkeit von Pilzen gemacht, die nicht durch fundierte Studien gestützt werden. Gleichzeitig werden Produkte als lokal produziert vermarktet, obwohl sie tatsächlich aus Regionen wie China importiert werden, wo die Produktionsbedingungen oft intransparent sind.

Ein weiteres Problem ist die unzureichende Deklaration der Inhaltsstoffe. Häufig wird der Gesamtpolysaccharidanteil eines Produkts angegeben, der jedoch auch minderwertige Bestandteile wie Stärke umfasst, in anderen Worten:

Die  auf dem überwiegendem Teil der Produkte auf dem Markt zu findende Angabe "Polysaccharidgehalt" ist KEIN Nachweis für Produktqualität, kann also dazu führen, dass Verbraucher getäuscht werden und minderwertige Produkte für qualitativ hochwertig halten. 

Ohne eine klare Angabe des Beta-D-Glucangehalts, der als einer der wichtigsten bioaktiven Wirkstoffe gilt, bleibt die tatsächliche Wirksamkeit eines Produkts fraglich. Ein weiterer geforderter Parameter ist der Ergosterolgehalt, denn daraus lässt sich glasklar ableiten, ob das Produkt überhaupt Pilzmaterial enthält und wie hoch der Anteil davon ist. 

Zudem verzichten einige Hersteller aus Kostengründen auf den letzten Schritt der Pilzzucht, der Fruchtung, bei der dann die tatsächlichen Pilze entstehen. Sie bieten stattdessen sogenannte „Solid-State-Fermentation“-Produkte an. Dabei handelt es sich im Grunde um das, was für den Pilzzüchter „Pilzbrut“ heißt. Durch Pilzmyzel fermentiertes Getreide, was dann verwendet wird um weitere Pilzsubstrate auf Holzbasis herzustellen, aus dem dann die eigentlichen Pilze wachsen würden. Diese Definition entspricht auch einem Produkt, was der kulturell offene Konsument unter dem Namen Tempeh kennt.

Dieses Material enthält nur sehr geringe Mengen an tatsächlichem Pilzgewebe und hohe Mengen an stärkehaltigen mehr oder weniger von dem Myzel verdauten Substratresten, wird jedoch sogar als Grundlage für Extrakte verwendet. Diese haben dann einen hohen Polysaccharidgehalt (Teilweise werden über 65% angegeben), aber enthalten in Wahrheit kaum Wirkstoffe. Wenn dieser Extrakt dann auch noch als Flüssigextrakt vermarktet wird, ergo noch ein Trägerstoff wie Glyzerin hinzukommt, ist das Produkt mutmaßlich stark verdünnt und weit entfernt von klinischer Wirksamkeit. 

Hinzu kommt: Nach der Novel-Food-Verordnung ist es in Europa unzulässig, Produkte aus Myzel ohne gesonderte Zulassung auf den Markt zu bringen. Dennoch umgehen viele Hersteller diese Vorgabe und vertreiben solche Produkte, ohne die Verbraucher über die tatsächliche Zusammensetzung aufzuklären. Dies führt zu einer weiteren Qualitätsminderung im Markt für Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmittel.

Die Rolle von Standards und Transparenz

Um die Qualität von Vitalpilz-Nahrungsergänzungsmitteln sicherzustellen, sind strenge Standards und Transparenz unerlässlich. Dazu gehört die Erstellung unabhängiger Analysezertifikate, die Reinheit und Wirkstoffgehalt der Produkte bestätigen. Diese Zertifikate sollten nach anerkannten internationalen Standards erstellt werden, um Glaubwürdigkeit zu gewährleisten. Besonders wichtig sind hierbei die Parameter ß-1,3-1,6-Glucane und Ergosterol. Während ß-1,3-1,6-Glucane als Hauptwirkstoffe für die immunmodulatorischen Eigenschaften von Pilzen gelten, gibt der Ergosterolgehalt Aufschluss darüber, ob ein Produkt tatsächlich aus Pilzfruchtkörpern besteht oder ob es sich lediglich um myzelbasiertes Material handelt, das wenig oder keine bioaktiven Komponenten enthält.

Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Qualität ist die Offenlegung der gesamten Produktionskette. Verbraucher sollten Informationen über die Herkunft der Pilze, die Anbaubedingungen und die eingesetzten Verarbeitungstechniken erhalten. Besonders kritisch ist dies bei Produkten, die in China hergestellt werden. Obwohl die Produktion dort kosteneffizient ist, fehlen oft ausreichende Informationen über die verwendeten Rohstoffe und die Einhaltung von Sicherheitsstandards.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Produktqualität

Mehrere wissenschaftliche Studien haben die Mängel bei der Qualität von Vitalpilzprodukten aufgezeigt. Eine Studie aus den USA untersuchte 19 Reishi-Produkte und stellte fest, dass nur 26,3 % der Produkte die auf dem Etikett angegebenen Inhaltsstoffe enthielten.3 Eine ähnliche Studie aus Italien zeigte, dass viele Produkte mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie Aflatoxinen belastet waren.4 Diese Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit strengerer Kontrollen und Standards.

Eine verstärkte Forschung zur Entwicklung standardisierter Analysemethoden für bioaktive Substanzen wie Beta-D-Glucane und Triterpenoide ist ebenfalls erforderlich.

Aktuell gibt es keine einheitlichen Methoden, um die Qualität von Vitalpilzprodukten zu bewerten, was die Entwicklung von Standards erschwert.

Der Weg nach vorn: Vertrauen durch Qualität

Die Verbesserung der Transparenz und die Einführung strenger Qualitätsstandards sind entscheidend, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen. Hersteller sollten sich verpflichten, detaillierte Analyseberichte zu veröffentlichen und unabhängige Zertifizierungen zu erhalten. Eine verstärkte lokale Produktion in Europa könnte dazu beitragen, die Qualität und Sicherheit der Produkte zu verbessern, da europäische Standards oft strenger sind als in anderen Regionen.

Einige Hersteller haben bereits Schritte unternommen, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Unternehmen wie Nammex aus den USA setzen auf Transparenz und hohe Standards.5

Quelle: Nammex (North American Medicinal Mushroom Extracts)

Diese Firmen zeigen, dass es möglich ist, hochwertige Produkte anzubieten, selbst in einem weitgehend unregulierten Markt.

Fazit: Ein Appell an Verantwortung

Die Vitalpilzbranche hat das Potenzial, vielen Menschen gesundheitliche Vorteile zu bieten. Doch dieses Potenzial kann nur genutzt werden, wenn Hersteller, Verbraucher und Regulierungsbehörden gemeinsam für Qualität und Sicherheit sorgen. Strengere Regulierungen, mehr Transparenz und verstärkte lokale Produktion sind der Schlüssel, um die Zukunft dieses wachsenden Marktes zu sichern. Verbraucher sollten ermutigt werden, sich aktiv über die Qualität der Produkte zu informieren und auf Anbieter zu setzen, die klare und ehrliche Informationen bereitstellen.

Die Originalversion dieses Artikels erschien am 21.06.2024 auf LinkedIn.

Über den Autor

Philip Rebensburg ist ein anerkannter Mykologe und engagierter Verfechter der Mykotherapie. Mit seiner langjährigen Erfahrung in der Erforschung und Anwendung von Vitalpilzen hat er sich zum Ziel gesetzt, das Wissen über die gesundheitlichen Vorteile von Pilzen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Autor zahlreicher Fachartikel zu diesem Thema legt er besonderen Wert darauf, die wissenschaftlichen Grundlagen der Mykologie mit praxisnahen Anwendungsmöglichkeiten zu verbinden. Seine Leidenschaft für Pilze spiegelt sich in seiner Arbeit wider, die darauf abzielt, die Branche durch Aufklärung und Engagement zu verbessern.

Mehr über Philip Rebensburg erfährst Du hier.

  1. MarketResearch.biz (2023): “Medicinal Mushrooms Market Size, Share and Forecast 2032”. Verfügbar unter: https://marketresearch.biz/report/medicinal-mushrooms-market/ ↩︎
  2. Singh, M., Tulsawani, R., Koganti, P., Chauhan, A., Manickam, M. und Misra, K. (2013): “Cordyceps sinensis increases hypoxia tolerance by inducing heme oxygenase-1 and metallothionein via Nrf2 activation in human lung epithelial cells”. In: BioMed Research International, Band 2013, Artikel-ID 569206. Verfügbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1155/2013/569206.
    Bös, D. (2017): “Mykotherapie bei Immunschwäche”. In: Erfahrungsheilkunde, 66(01), S. 30–35. Verfügbar unter: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0042-123665.
    Bös, D. (2022): “Heilmittel und Superfood”. In: Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift, 17(07), S. 20–25. Verfügbar unter: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1927-9086 . ↩︎
  3. Wu, D.-T., Deng, Y., Chen, L.-X., Zhao, J., Bzhelyansky, A. und Li, S.-P. (2017): “Evaluation on quality consistency of Ganoderma lucidum dietary supplements collected in the United States”. In: Scientific Reports, 7, Artikelnummer 7792. Verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/s41598-017-06336-3. ↩︎
  4. Risoli, S., Nali, C., Sarrocco, S., Cicero, A. F. G., Colletti, A., Bosco, F., Venturella, G., Gadaleta, A., Gargano, M. L. und Marcotuli, I. (2023): “Mushroom-Based Supplements in Italy: Let’s Open Pandora’s Box”. In: Nutrients, 15(3), Artikel 776. Verfügbar unter: https://www.mdpi.com/2072-6643/15/3/776.  ↩︎
  5. Nammex (2025): “Beta-Glucan Breakdown: Digesting the Power of Mushrooms”. Verfügbar unter: https://www.nammex.com/beta-glucan-breakdown-digesting-the-power-of-mushrooms/ ↩︎